Nach der Lateinisch und Deutschen Ausgabe He.rausgegeben von Kurt Smolka – St. Martinus-Verlag, Eisenstadt
Hier nur die deutsche Version
20. Um aber auch weniger Bedeutendes in eine Reihe mit Martins Großtaten zu stellen – allerdings, wie der Zeitgeist unserer Gegenwart nun einmal ist, in der alle Werte entstellt und verkommen sind, ist es fast schon etwas Außergewöhnliches, wenn ein hoher Geistlicher standhaft genug gewesen ist, sich von Unterwürfigkeit gegenüber einem Herrscher fern zu halten: als sich einmal bei Kaiser Maximus, einem brutalen und wegen seines Sieges in Bürgerkriegswirren überheblichen Mann, etliche Bischöfe aus aller Welt eingefunden hatten, man allenthalben schäbige Unterwürfigkeit gegenüber dem Kaiser an den Tag legte und sich die würdigen Geistlichen, niedrig und wankelmütig, zu willfährigen Höflingen des Herrschers gewandelt hatten, konnte sich allein in der Person Martins die von den Aposteln ererbte Autorität behaupten. Denn wenn es darum ging, für irgendwelche Leute ein gute Wort beim Herrscher einzulegen, klang das bei ihm eher nach einem Befehl als nach einer Bitte; andererseits blieb er den Banquetts, obwohl oftmals geladen, fern; er sagte nämlich , er könne nicht mit einem Herrn Tischgemeinschaft haben, der zwei Kaiser beraubt habe – den einen seiner Herrschaft, den anderen seines Lebens. Doch Maximus versicherte, er habe nicht von sich aus nach derMacht gegriffen, sondern nur die Regierungspflicht, die ihm die Soldaten nach göttlichem Willen auferlegt hätten, mit Waffengewalt verteidigt; auch sei Gottes Wohlwollen offenkundig nicht fern von dem, welchem der Sieg durch so eine unglaubliche Fügung zugefallen sei; keiner seiner Gegner sei auf andere Weise umgekommen als im offenen Kampf. Da ließ Martin sich schließlich umstimmen – sei es durch Argumente, sei es durch Bitten – und kam zu einem Banquett. Der Kaiser aber war überglücklich, dies erreicht zu haben.
Als Gäste aber waren, so als hätte man anläßlich eines Festtages geladen, bedeutende, höchstrangige Persönlichkeiten anwesend, der Präfekt und Konsul Evodius, ausgezeichnet durch unübertreffliche Rechtschaffenheit, zwei hochgestellte Hofbeamte sowie der Bruder und der Oheim des Kaisers. Mitten unter ihnen hatte ein Priester Martins Platz genommen, er selbst aber saß auf einem kleinen Thron neben dem Kaiser. Etwa zur Halbzeit des Banquetts reichte ein Diener, wie üblich, dem Kaiser eine Trinkschale. Dieser befahl, sie doch zuerst dem hochheiligen Bischof zu geben, in der hoffnungsvollen Erwartung, aus dessen Hand den Becher zu erhalten. Doch als Martin zu Ende getrunken hatte, reichte er die Schale an seinen Priester weiter, da er nämlich keinen für würdiger hielt, als erster nach ihm zu trinken, er meinte, nicht recht zu handeln, wenn er den Herrscher selbst oder die dem Herrscherrang nächsten Personen einem Priester vorzöge. Ob dieses Verhaltens waren der Kaiser und alle Anwesenden so verwundert, dass sie gerade an jener Haltung Gefallen fanden, die für sie eine Herabsetzung bedeutet hatte. Und im ganzen Palast redete man davon, dass Martin bei einem kaiserlichen Banquett etwas getan hatte, das keiner der Bischöfe bei Gastmählern niedriger Beamter getan hätte.
Martin kündete eben diesem Maximus schon lange im voraus an, er solle wissen, dass er, wenn er nach Italien zöge – er wollte nämlich dorthin aufbrechen, um einen Krieg gegen Kaiser Valentinian zu beginnen – , beim ersten Angriff zwar siegreich sein, wenige Zeit später aber umkommen werde. Dies trat denn auch ein, wie wir erlebt haben. Denn bei seinem ersten Herannahen musste Valentinian zunächst die Flucht ergreifen. Danach aber, etwa ein Jahr später, als er wieder ein schlagkräftiges Heer gesammelt hatte, nahm er Maximus innerhalb der Mauern Aquileias gefangen und ließ ihn töten.