Nach der Lateinisch und Deutschen Ausgabe
He.rausgegeben von Kurt Smolka – St. Martinus-Verlag, Eisenstadt
Hier nur die deutsche Version
23. Ein gewisser Clarus, ein hochadliger Jüngling, der wenig später Priester wurde – jetzt ist er bereits beglückt in die Seligkeit eingegangen -, hatte alles aufgegeben, sich Martinus angeschlossen und binnen kurzer Zeit den höchsten, strahlenden Gipfel im Glauben und in allen Tugenden erklommen. Als er nun nicht weit vom Kloster des Bischofs sich eine Klause errichtet hatte und viele Mitbrüder in seiner Nähe weilten, kam ein junger Mann namens Anatolius zu ihm, legte ein Mönchsgelübde ab, in dem er alle Demut und Sündlosigkeit heuchelte, und lebte ein Zeitlang in der Gemeinschaft mit den übrigen. In der Folge behauptete er dann wiederholt, Engel pflegten mit ihm zu reden. Als keiner dies ernst nahm, brachte er durch irgendwelche Wunderzeichen sehr viele dazu, ihm zu glauben. Schließlich ging er so weit, dass er verkündete, zwischen ihm und Gott verkehrten Eilboten, und wollte als einer der Propheten gelten. Clarus freilich ließ sich ganz und gar nicht dazu zwingen, ihm zu glauben. Jener drohte ihm den Zorn Gottes und augenblickliche Strafen dafür an, dass er einem Heiligen keinen Glauben schenke. Zuletzt soll er folgende Worte ausgerufen haben: „Siehe, in der heutigen Nacht wird mir der Herr ein weißes Gewand vom Himmel her geben. Das werde ich anlegen und damit in eurer Mitte wandeln. Und dies wird euch ein Zeichen dafür sein, dass ich eine Kraft Gottes bin, der ich doch ein Gewand Gottes zum Geschenk erhalten habe.“ Daraufhin waren alle ob dieser Ankündigung in gespannter Erwartung. Gegen Mitternacht also schien das ganze Kloster unter dem dröhnen stampfender Tritte gegen die Erde in seinen Grundfesten zu erbeben. Die Zelle aber, in der besagter Jüngling sich aufhielt, war von zahlreichen Blitzen hell erleuchtet, wie man sehen konnte. Auch war das Schnauben von Wesen, die darin umhereilten, und dumpfes Stimmengewirr zu hören. Als es dann still geworden war, trat er heraus, rief einen der Brüder – sein Name war Sabatius – zu sich und zeigte ihm das Gewand, mit dem er bekleidet war. Baß vor Erstaunen rief dieser die anderen zusammen; auch Clarus selbst eilte herbei, und im Schein einer Lampe betrachteten alle aufmerksam das Gewand. Dieses war ganz weich, strahlend weiß und hatte leuchtende Purpurstreifen, aber man könnte nicht feststellen, von welcher Art, aus welchem Stoff es war. Den neugierigen Blicken und tastenden Fingern aber schien es nichts anderes zu sein als eben ein Gewand.
Mittlerweile forderte Clarus die Mitbrüder zu inständigem Gebet auf, damit der Herr ihnen mit aller Deutlichkeit offenbare, was das denn zu bedeuten habe. So verbrachte man den Rest der Nacht mit Hymnen- und Psalmengesang. Nach Tagesanbruch packte Clarus Anatolius bei der Hand und wollte ihn zu Martin schleppen, da er wohl wusste, dass diesen keine List des Teufels zu Narren vermochte. Da aber begann der Elende sich zu sträuben und zu protestieren. Es sei ihm untersagt worden, behauptete er, sich Martin zu zeigen. Als man ihn gegen seinen Willen zwang, zu diesem zu gehen, verflüchtigte sich das Gewand unter den Händen derer, die ihn wegschleppten. Wer könnte also zweifeln, dass auch dies der Kraft Martins zuzuschreiben war, dass nämlich der Teufel,sein Blendwerk, sobald es Martin vorgeführt werden sollte, nicht länger geheim halten und vertuschen konnte.