Archiv für den Monat November 2014

Europa kann von Martinus lernen

Für mehr Freiheit und Gerechtigkeit

Vom 22. Juli bis 23. Oktober sind Prälat Werner Redies, emeritierter Generalvikar der Diözese, und der ehemalige Schemmerhofener Bürgermeister Eugen Engler über 1000 Kilometer von Ungarn bis nach Ochsenhausen gepilgert. Über die Erlebnisse beim Entdecken einer neuen Martinusweg-Route berichtet Redies im Interview.

Herr Prälat Redies, wie kamen Sie auf die Idee, sich auf das Pilgerwegabenteuer einzulassen?

Werner Redies: Seit ich weiß, dass der Europarat einen Martinusweg von Sombathely nach Tours als europäischen Kulturweg definiert hat, habe ich mich mit dem Gedanken beschäftigt, diesen Weg zu gehen. Alleine habe ich es mir nicht zugetraut. Ein Stück des in Württemberg ausgezeichneten Martinus-Hauptweges bin ich vor gut zwei Jahren zusammen mit Bischof Fürst auch über die Gemarkung Schemmerhofen gepilgert. Damals begegnete ich Bürgermeister Engler und hörte, er wolle in wenigen Monaten den gesamten Jakobusweg gehen. Davon wollte ich ihn abspenstig machen und ihn für den Martinusweg gewinnen. Bei seinem Vorhaben blieb er und hat es auch umgesetzt, doch er versprach ein Jahr später mit mir den Martinusweg zu pilgern. So wurde die Idee dann in diesem Jahr Realität.

Was war für Sie die größte Herausforderung und der schönste Glücksmoment auf der Strecke?

Redies: Die größte Herausforderung war, da ich mit einer Sehne Probleme bekam, den Weg für einige Wochen zu unterbrechen und Geduld zu haben. Auf dem Weg war eine Tagestour auf dem Donausteig mit über 30 Kilometern und der Überwindung von insgesamt 1000 Höhenmetern die größte Herausforderung. Ein einmalig schöner Blick ins Donautal bei herrlichem Wetter war ein besonderer Glücksmoment.

Sie haben zusammen mit Eugen Engler als Pionier die Mittelroute des Martinusweges bis in die Diözese Rottenburg-Stuttgart ausgetüftelt. Was raten sie den Pilgern, die Ihren Spuren demnächst folgen werden?

Redies: Abzuwarten bis die App des Martinusweges mit Hilfe unserer GPS-Aufzeichnungen erarbeitet ist und sich nicht ohne diese Hilfe auf den Weg zu machen. Wir hatten zwei iPads, zwei iPhones dabei, einen Akku – und trotzdem sind wir an Grenzen gekommen, vor allem an Wegkreuzungen. Wir sind auch Wege gegangen, die zwar in Wanderapps ausgewiesen sind, die aber teilweise zu Ackerland umgepflügt oder völlig zugewachsen sind. Wir werden diese Strecken nicht empfehlen und andere Strecken suchen und nahelegen.

Sankt Martin ist vor 1617 Jahren gestorben und trotzdem noch heute bei Klein und Groß bekannt. Was fasziniert Sie persönlich an diesem Heiligen?

Redies: Sein Mut, mit dem er Kaisern, Mitbischöfen und Räubern gegenüber auftrat. Wenn ich das richtig sehe, entsprang er seiner Glaubensgewissheit, dass Jesus nicht nur ein guter Mensch war, sondern als der Christus bei Gott, seinem Vater, lebt. Aus dieser Gewissheit heraus hat Martin nicht nur Almosen gegeben, sondern geteilt, also für größere Gerechtigkeit gesorgt. Besonders fasziniert mich seine Barmherzigkeit, da er für die als Häretiker verurteilten Priszillianer eintrat, obgleich er ihre Meinung nicht teilte. Martin ist ein Mann mit weitem Herzen, ein Heiliger, den ich nicht für meine Anliegen vereinnahmen kann, und darum ein Mensch, der auch dem heutigen Europa etwas zu sagen hat.

Planen Sie die Fortsetzung Ihres Pilgerweges und werden Sie wieder Menschen durch den Blog mit auf den Weg nehmen?

Redies: Jetzt ist zunächst einmal Pause. Die noch anstehende Wegstrecke bis nach Tours haben wir noch nicht in den Blick genommen. Aus der zurückliegenden Erfahrung wissen wir, dass der Weg noch sorgfältiger vorausgeplant werden muss. Zur Entscheidung braucht es Abstand und es ist nicht nur meine Entscheidung, wir waren zu zweit. Selbstverständlich lasse ich dann gerne wieder Menschen am Weg teilhaben. Noch wichtiger ist mir, ihnen die Persönlichkeit des Heiligen Martin als einen Menschen nahe zu bringen, der Aspekte lebte, die Europa heute dringend braucht. So das Eintreten für die Freiheit aus dem Wissen heraus, dass Christus mit den Gefangenen ist und in der Kirche noch mehr Gerechtigkeit gelebt werden muss, damit dieser Geist die Völker Europas erfasst.

Markus Waggershauser – 31.10.2014

Zum Martinstag

Mal bin ich Bettler, mal St. Martin

Ein Zeitungsartikel mit dieser Überschrift, aus ihrer beruflichen Anfangstätigkeit als Religionslehrerin, ist mir heute zum Martinstag von der Autorin zusammen mit einer Rose überreicht worden. Wie wahr ist es, dass wir mal Bettler mal St. Martin sind und so dachte ich, der Beitrag ist es wert um in den Blog gestellt zu werden, zumal ich mir schon vorgenommen hatte, immer mal wieder einen Beitrag zum Heiligen Martin zu veröffentlichen.
Nun der Beitrag:
„Ein achtjähriger Schüler sagte mir, dass er bis vor kurzem dachte, der Reiter auf dem Pferd sei der hl. Martin. Inzwischen weiß er, dass die Mantelteilung ein Spiel ist. Ist er enttäuscht? Nein! Warum nicht? Was fasziniert diesen Jungen und die anderen Kinder an diesem Spiel? Einige Aussagen von ihnen:
– Mir gefällt an St. Martin so gut, dass er dem Bettler die Hälfte seines Mantels gegeben hat. (Melanie, neun Jahre)
– Die gute Tat, die St. Martin vollbracht hat, finde ich wunderbar. Ich finde es gut, dass er dem Bettler kein Geld gegeben hat, sondern ein Stück von seinem Mantel. Der Bettler wäre ja mit dem Geld in der Hand erfroren. (Martina, neun Jahre)
– Ich fände es schön, wenn St. Martin auch heute noch leben würde. St. Martin spielt das Spiel für uns. (Armin, acht Jahre)

Er spielt für uns alle! In einem Volkslied heißt es: „Das Leben ist ein Spiel, und wer es recht zu spielen weiß, gelangt ans große Ziel.“ Miteinander die Martinsgeschichte im Leben weiterspielen – ich denke, dass wir St. Martin und dem Bettler dabei begegnen können. Begegnung geschieht immer in der Gegenwart, und echte Begegnung erfordert Zeit.
„Die Zeit ist wie ein fahrender Zug, wir darin die Reisenden. Es nützt nicht, im Zug auf und ab zu gehen, um früher anzukommen. Die Zeit geht von selber weiter, wie der Zug. Unsere Aufgabe ist es, ganz in der Gegenwart zu stehen.“ (Chiara Lubich)
Ganz in der Gegenwart zu stehen, macht es mir möglich, die Tat des hl. Martin nachzuahmen, den anderen wahrzunehmen und ihm das zu geben, was er braucht. Oberflächlich gesehen, erscheint uns das selbstverständlich – bei genauerem Hinsehen jedoch ist es einen schwierige Aufgabe, die ich als „Kunst des Liebens“ bezeichnen möchte.
Jedesmal, wenn ich anhalte und mir Zeit nehme, wenn ich den anderen ansehe und ihm Hoffnung vermittle, wenn ich das Leben bejahe, wenn ich dem andern das Gefühl gebe, wertvoll zu sein, bin ich ein St. Martin unserer Zeit.
In anderen Situationen bin ich der Bettler, muss mir und den anderen zugestehen, dass ich arm bin: Arm an Gesundheit, an Kraft, an Geduld, an echter Beziehung, an Glauben, an Vertrauen zu mir selbst uns zu den anderen.
Glücklich – wenn ein St. Martin des Weges kommt, mich sieht, meinen Hilfeschrei hört, anhält und versteht, was ich brauche. Mal Bettler, mal St. Martin – ein interessantes Spiel, das viel Mut erfordert. (Irmgard Dörflinger, Sießen, heute Ellwangen).

In diesem Sinn wünsche ich allen Lesern viel Mut zum Martinstag.

Werner Redies